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Jedem Bürger sein eigenes Denk- und Fühlmal: Der Herzschlag der in der Sockelschale stehenden Person wird als taktiles Erlebnis auf die eigene und auf die drei Gast-Scheiben übertragen. Ursprünglich sollte die seit Jahren verwaiste Sockelhalbschale der Aufnahme einer Skulptur dienen. Letztlich wird dies eingelöst.

Kunstwettbewerb Heinrich-Böll-Platz Nürnberg-Langwasser, 2004

Motivation

Die Geschichte Langwassers ist von der Nachkriegszeit bis hinein in die Gegenwart geprägt von der Spannung zwischen fremd sein und heimisch werden, dem Prozess von dem einem Zustand zum anderen und dem nicht immer reibungslosen Nebeneinander der beiden Zustände. Nach einer möglichen Definition des Heimatbegriffs ist Heimat da, wo das Herz ist. Wenn dann das Herz da ist, wo die Füsse sind, sind wir Daheim. Von diesem Gedanken ausgehend, bezieht sich das vorgeschlagene Erinnerungsmal radikal auf den einzelnen Bürger, die einzelne Bürgerin des Stadtteils und bezieht diese auch konsequent individuell in die vorgeschlagene Skulptur ein. Dies auch vor dem Hintergrund der NS-Zeit, in der sich das Langwasser-Gelände ausschliesslich auf den Begriff der Masse, der Verneinung von Individualität, bezogen hat.

Städtebauliche Situation

Der Heinrich-Böll-Platz erscheint in seiner heutigen Ausformung trotz einiger Mängel (fragwürdige Möblierung durch die angrenzende Gastronomie, teilweise mediokre Randarchitektur, stilbrüchige und kaputte Abgrenzung des vertieften Forums usw.) als konsquent gestaltet und urban. Durch etliche Elemente wie Sitzstufen, Wasserbecken, Niveauunterschiede, Bänke und gezieltem Baumbestand, ist ein Funktionieren im landläufigen Sinne gewährt. Es erscheint nicht zwingend notwendig appliklativ-gestalterisch in den Platz einzugreifen. Die verloren-leere Halbschale, die der nicht verwirklichten Prechtl-Skulptur eine Heimat geben sollte und nun aber seit Jahren mangels Inhalt selbst unbeheimatet ist und von daher unfreiwillig vom Hauptthema Lanwassers spricht, reizt zum Handeln. Die etwa 3,20 m hohe Schale mit einem Aussendurchmesser von 1,40 m ist sinnvoll – wenn auch majestätisch-achsensymetrisch – in die südöstliche begrenzende Beton- Umfassung des Platzes integriert.

Eingriff

Die oben erwähnte Halbschale mit ihrer untergründigen Aussage bildet den Ausgangspunkt des Vorschlags: Durch Entfernen des Sockelzylinders in ihrem Inneren und Hinzufügen einer radialen Zugangsstufe wird die Schale begehbar gemacht. In den Seitenwangen werden links und rechts haltegriffartige Edelstahlrohre befestigt. Diese dienen als Kontaktfläche für den Handimpuls der jeweiligen Nutzer. An diesen Sensoren, die in unterschiedlichen Höhen für unterschiedliche Körpergrössen angebracht sind, wird mit einer kurzen Latzenzzeit von einigen Sekunden der Herzschlag der Nutzer abgenommen und an eine kleine Steuereinheit im Sockel der Halbschale weitergeleitet, wo er einen gesampelten akustischen Herzschlag auslösen wird. Die begehbare Bodenfläche des Sockels ist mit einer kreisförmigen genoppten Edelstahlplattte gedeckelt, den Anschluss an die Betonfläche bildet ein transluzenter dauerelastischer Ring.

Der jeweilige akustische Herzimpuls wird – sobald er nach der kurzen Latenzzeit erfasst ist – mittels Magnetspulen vorwiegend als Vibration (Körperschall) an die Bodenplatte weitergegeben. Die Nutzer fühlen das Herz vom Boden her schlagen. Ein Lichtimpuls im gleichen Rhytmus geht von dem kreisförmigen Ring über integrierte rote LED ́s aus und begleitet den haptischen Impuls optisch. Akustisch ist die Skulptur sehr zurückhaltend und wird – wenn überhaupt – nur sehr leise in der unmittelbaren Umgebung hörbar sein.

Die Position in der Halbschale entspricht der einer Kanzel, oder – besser – der einer kleinen Bühne. Das Pendant dazu, die Gemeinde, den Zuschauerraum bilden drei baugleiche Bodenplatten die sich radial im Abstand von 3-4 m um die Halbschale auf Platzniveau versammeln und mit der Steuereinheit verbunden sind. Dort kann unbeteiligtes oder beteiligtes Publikum am Pulsschlag des jeweiligen Performers teilnehmen.

Die Benutzer und somit Vervollständiger der Skulptur outen sich in der Halbschale ihrem Stadtteil mit ewas sehr persönlichem: Dem eigenen Herzschlag, der von den meisten von uns, ausser bei besonderer Belastung, im Alltag nicht unbedingt gespürt oder beachtet wird.

Die Vielzahl der verschiedenen Skulptur-Ergänzer bildet das Denkmal, das in diesem Fall auch ein Fühlmal wird. Der demokratische, aber auch der individuelle Ansatz der Arbeit wird dem Namensgeber des Platzes, Heinrich Böll, durchaus gerecht. Ob das Gerät in Zukunft als Spielplatz (Beat-Generation II), als Speakers Corner von Langwasser (sei dein Führer!), als Sportlerzusammenkunft (wer hat den niedrigsten?) oder als Treffpunkt einsamer Herzen (schau mir in die Herzkammer, Kleiner!) genutzt wird, bleibt den Bedürfnissen und der Fantasie der Stadteilbewohner überlassen. Deshalb werden auch Sinn und Funktionsweise der Skulptur bewusst nicht mit einem Schild o. ä. erklärt. Sie werden sich als kommunikativer Prozess im Stadtteil selbstorganisiert bilden und herumsprechen. (...)

aus: Infobroschüre des Autors

Infobroschüre als PDF downloaden

 

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© reiner hofmann 2010 Mail senden